(CIS-intern) – Das erste Childhood-Haus Schleswig-Holsteins ist heute (22.4. 2022) in Flensburg eröffnet worden. Kinder und Jugendliche, die von sexualisierter oder auch körperlicher Gewalt betroffen und in ein Strafverfahren eingebunden sind, werden hier mit besonderer Fürsorge, Rücksicht und professionell in einer kinderfreundlichen, sicheren Umgebung betreut. Das Childhood-Haus wird durch das Justizministerium, das Innenministerium und das Sozialministerium des Landes unterstützt.
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Das Childhood-Haus nimmt die Idee des skandinavischen „Barnahus“ („Kinderhaus“) auf und setzt es modifiziert um. Mit dem Childhood-Haus wird eine gut strukturierte und koordinierende Anlaufstelle geschaffen, die alle mit dem Fall befassten Stellen in abgestimmtem Handeln unter einem Dach vereint. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen stehen im Fokus aller Überlegungen und Maßnahmen. Ihre Belastungen sollen weitestgehend verringert werden. Justiz, Polizei, Ärzteschaft, psychosoziale und sozialpädagogische Beratung, Jugendamt und Psychosoziale Prozessbegleitung wirken hier Hand in Hand. Hauptziel ist es, eine Retraumatisierung der Kinder und Jugendlichen zu verhindern und sie beim Bewältigen des Erlebten zu stärken.
„Der Flensburger Standort für das erste Childhood Haus wurde ausgewählt, weil in Flensburg bereits eine jahrzehntelange gute Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten mit allen weiteren beteiligten Fachstellen besteht. Die richterliche Video-vernehmung hat sich dort sehr gut bewährt und bildet einen wichtigen Baustein bei der kindgerechten Umsetzung von Verfahren. Ich bin sicher, dass das Childhood-Haus Flensburg aufgrund der guten Voraussetzungen schnell einen erfolgreichen Weg nehmen wird“, sagte Justizminister Claus Christian Claussen bei der Eröffnungsfeier.
„Kinder und Jugendliche brauchen unseren besonderen Schutz. Das gilt ganz besonders für diejenigen von ihnen, die Opfer von Gewalt und Straftaten geworden sind. Es ist wichtig, dass sie bei den Ermittlungsverfahren gut betreut werden, dass berücksichtigt wird, wie es ihnen geht und welche Hilfe sie brauchen, dass eine Retraumatisierung im Verfahren vermieden wird. Ich bin überzeugt davon, dass wir alle gemeinsam mit dieser wichtigen Einrichtung hier in Zukunft noch besser und umfangreicher die betroffenen Kinder und Jugendlichen betreuen können“, erklärte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.
Träger des Childhood-Hauses ist Pro Familia Schleswig-Holstein. Christa Wanzeck-Sielert, 1. Vorsitzende des Landesverbandes: „Wir freuen uns sehr, dass wir die Träger-schaft für dieses Leuchtturmprojekt übernehmen. Pro Familia bringt umfangreiche Erfahrungen aus der Beratung und Begleitung betroffener Kinder mit und setzt sich schon lange für einen umfassenden Kinderschutz ein. Mit dem Childhood-Haus machen wir einen großen Schritt hin zu einer kindgerechten und umfassenden Versorgung der Betroffenen.“
Dr. Astrid Helling-Bakki, Geschäftsführerin der World Childhood Foundation Deutschland: „Wir versprechen uns viel vom Standort Flensburg. Hier besteht schon seit langem eine sehr gute Zusammenarbeit der Professionen. Auch die Trägerschaft eines freien Trägers der Jugendhilfe bildet ein Novum für das Konzept der Childhood-Häuser, die bislang vielfach auch bei Kliniken angebunden wurden. Wir sehen durch die Entwicklungen in Flensburg bereits jetzt wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung der Childhood-Häuser in Deutschland.“
Im Flensburger Childhood-Haus selbst sind eine koordinierende Fachkraft, eine Beraterin und eine Kinderärztin tätig. Zudem ist das Childhood-Haus als regionale Untersuchungsstelle der Rechtsmedizin für Kinder und Jugendliche vorgesehen. Die weiteren mitwirkenden Stellen kommen hinzu. Bei Eröffnung des Hauses berichtete auch ein Mit-glied des Betroffenenrates bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom Erlebten. Beteiligte Stellen informierten über ihre Aufgaben.
Zum Childhood-Haus Konzept:
Das Childhood-Haus ist eine bundesweite Initiative der World Childhood Foundation, die sich als Stiftung seit mehr als 20 Jahren für den Schutz von Kindern vor Gewalt und Misshandlungen einsetzt. Nach dem Childhood-Haus Konzept sollen Kinder und Jugendliche, die als Opfer von Gewalt in ein Strafverfahren eingebunden sind, mit besonderer Fürsorge über die auf sie zukommenden Abläufe informiert und dabei begleitet werden. Die betroffenen Kinder werden üblicherweise mit verschiedenen Situationen der Vernehmung, medizinischen Untersuchung und Beratung konfrontiert, die eine zusätzliche Belastung bedeuten können. In einem Childhood-Haus sollen alle erforderlichen Maßnahmen unter einem Dach und in einer kinderfreundlichen Umgebung möglich sein. Dazu gehören u.a. polizeiliche und richterliche (§§ 58a, 255a StPO) Videovernehmungen, medizinische Untersuchungen, die Information über Opferrechte und Vermittlung in Unterstützungsangebote. Alle dort handelnden Personen verfügen über entsprechende Qualifikationen und stehen in einem fortdauernden interdisziplinären Austausch. Durch diesen Ansatz soll verhindert werden, dass betroffene Kinder weitere Belastungen erfahren müssen, z.B. durch eine besonders lange Verfahrensdauer.
Die Justiz in Flensburg sowie viele Kooperationspartner der Stadt haben sich bereits 2019 intensiv mit einem Konzept der kindgerechten Justiz beschäftigt. Auf einer interdisziplinären Tagung wurden Wege diskutiert, wie es – bei Einhaltung der prozessualen Regeln und Vorgaben – gelingt, Kinder schonend und kindgerecht durch die Verfahrensmaßnahmen zu begleiten. Die Gründung des Childhood-Hauses in Flensburg ist die Fortführung und Umsetzung eines bereits begonnenen Diskurses.
Verantwortlich für diesen Pressetext: Dr. Wolf Gehrmann | Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz