Nun war es wieder soweit: Das Hurricane-Festival stand mal wieder vor der Tür – mittlerweile nun zum achten Mal. Am letzten Juni-Wochenende traf man sich endlich wieder am Eichenring.
40.000 Tinitusgefährdete – so jedenfalls die offizielle Besucherzahl. Wie die Flut nach der Ebbe strömten die Rockfans nach Scheeßel, als ob sie seit 362 Tagen keine Töne gehört hätten, keine Melodien summen durften, keine Rhythmen beklatschen durften.
Egal ob mit einem Drahtesel oder einem Ford Mustang, ob in einem Bulli mit Schimmel oder man einfach nur per Bus oder Bahn. Entscheidend ist, dass sie alle den Weg über die A1 / B75 gefunden haben.
All die Stage-Diver und Luftgitarrenspieler, Beatboxen und Headbanger, Hafensänger und Zungenakrobaten. Und es sollte sich lohnen, auch wenn sich die Hinfahrt einmal wieder als langwieriges Stop-and Go-Unterfangen präsentierte. Auch frühzeitiges Anreisen am Donnerstag brachte keine Fahrtdauerverkürzung, da diesesmal ungewohnt viele Pilger dieselbe Idee hatten und der Autoverkehr somit ins Stocken geriet. Es blieb einem nichts anderes übrig, als sich mit vorher bespielten Cassetten in die richtige Stimmung zu bringen. Als Beifahrer konnte man mit Hilfe des Mediums “Holsten-Dose” die zwischen Hamburg und Bremen merkwürdig elektrisierte Luft aufsaugen und Petrus für das typische Zeltaufbau-Wetter eines Hurricane-Festivals danken . Nach dem obligatorischen Matsch-Marsch durch das Gelände zum Zeltplatz nahm man einen Wolkenbruch nach dem anderen mit, baute sein Zelt unter heftigsten Regenschauern auf und war froh, als es sich erst aufklärte, nachdem man völligst aufgeweicht und tropfnass gerade zuvor zur Einweihung ins Zelt gekrochen war.
Aber keine zeit zum Verschnaufen. Die reformierten LIFE OF AGONY spielten schon früh um 18 Uhr am Freitag, obwohl sie unter einem Großteil der Angereisten als heimlicher Headliner galten. Nach der zwischenzeitlichen Trennung besann sich Keift Caputo und lieferte mithilfe seiner unverwechselbaren Stimme einen starken Appetitanreger für die nächsten drei Tage ab.
Es ging Schlag auf Schlag weiter. In die Reihe der Klassiker reichten sich als nächstes Frank Black und seine PIXIES ein, die dort weitermachten, wo sie 1992 aufgehört hatten – und zwar mit ergreifendem Indie-Sound vom Feinsten. Weiter ging es mit PLACEBO und ihrem kamerascheuen und wortkargen Frontmann Brian Molko. Mann ist der introvertiert! Zur Performance kann man nicht meckern, die Songs wurden astrein 1:1 umgesetzt. Danke Herr Molko.
Während zeitgleich Bands wie MODEST MOUSE, SARAH BETTENS und die schottische Krawall-Combo von MOGWAI die 2nd Stage rockten, wurde es auf der Mainstage immer enger, voller und intimer.
Alle warteten nur auf einen. Auf ihn. Auf das Chamäleon des Rock-Zirkus. Den Headliner dieses Hurricane’s 2004: DAVID BOWIE gab sich die Ehre! Nach zahlreichen ausverkauften Konzerten in aller Welt stattete Mr. Bowie nun auch in Deutschland einen sehnsüchtig erwarteten Besuch ab. Zunächst war es nicht einmal sicher, ob er nach seinem gesundheitlich bedingten abgebrochenem Konzert in Prag überhaupt hätte auftreten können. Nun, er tat es und legte eine sensationelle Show hin, die sowohl ältere Fans als auch jüngeres Publikum in ihren unwiderstehlichen Bann zog.
Bowie verzauberte mit alten, schon epischen Klassikern sowie neueren Hits, die die Menge zu ekstatischem Schweben über den Wiesengrund verleiteten und ebenso die eigene Freundin magnetisch zu sich heranzuziehen schienen. Es war für jeden ein einmaliges Erlebnis. Leider kamen aber nur die Hurricane-Besucher in den Genuß seiner experimentellen musikalischen Vielfalt, da sich Mr. Bowie nach absolviertem Gig laut Pressesprecher einen Nerv eingeklemmt hat und deswegen den für den nächsten Tag beim Southside-Festival geplanten Auftritt komplett absagen mußte.
Schade für unsere südlichen Bodensee-Brüder!
Den Abschluss des Freitag-Appetizers bildete das wundervoll-melodiöse Klangszenario der französischen Musikünstler von AIR.
Samstag
Der Samstagmittag ließ dann die restlichen noch in Schlafsäcken liegenden endgültig zu den Bühnen des Festival-Geländes pilgern. Auf der Mainstage heizten zum Katerfrühstück COLOUR OF FIRE, AMPLIFIER und DANKO JONES ein. Letztere ließen sogleich keinen Zweifel aufkommen und sicherten sich die imaginäre Trophäe des stimmgewaltigsten Shouters.
Zeitgleich versorgten GRAHAM COXON Delta-Radio-Hörer mit bekannten Refrains, während auf der 2nd Stage TOMTE das Fehlen von Tocotronic vergessen machten. I AM KLLOT, WILCO und BILLY TALENT, die als Geheimtipp eine stille Post unter den angereisten Rockliebhabern durchliefen, rundeten das alternative Programm ab. Die Mainstage wurde zur Kaffeezeit vom Rock´n Roll erobert.
THE (international) NOISE CONSPIRACY rockten was die Mikrofone und die für ihre Tanzeinlagen knapp bemessene Bühne hergaben. Zeit zum Luftholen blieb nicht, denn nun kamen die DONOTS und versammelten ihre größtenteils jungen Fans zum Sandsack-Training vor dem Wellenbrecher.
Irgendwann sprangen sich die Kiddies müde und überließen das Feld den eingefleischten Old-School-Rockern, die sich in einer feierlichen Zeremonie vor den wiedererstarkten ehrwürdigen Höllenrockern von MONSTER MAGNET verbeugten.
PJ HARVEJ sorgte für die Frauenquote und THE HIVES spielten die steigende Nervosität des nun anscheinend vollzählig angetretenen Publikums herunter. Dann war es soweit. Freudentränen spiegelten sich in den Augen der Versammelten wieder. THE CURE verewigten sich als bleibende Erinnerungen in den Köpfen der Augenzeugen. Robert Smith und seine kongenialen Mitstreiter lehrten dem Ozonloch wieder das Fürchten. Zahlreiche jung gebliebene Fans der ersten Stunde, aber auch Neo-Grufties freuten sich auf tiefmelancholischen Gothik-Pop und manische New-Wave-Tanzeinlagen, die ihre Schminke beim Tanzen verschmieren würden. Viele hatten ihre wohl letzte Chance genutzt, um diese legendäre Band noch einmal live erleben zu dürfen.
Vielleicht waren die Erwartungen zu übermächtig., vielleicht lag es am einseitigen und für ein Rock-Festival unpassenden Song-Repertoire. Jedenfalls sorgten The Cure mit ihrer sachten, poppig-einsäuselnden Gute-Nacht-Performance für winzige enttäuschte Gesichtszüge. Irgendwie hatte man sich mehr Drive gewünscht. Die alten Hits, die Ohrwürmer. Man wollte THE CURE sehen. Stattdessen wurde einem The Cure 2004 präsentiert. Es war nicht schlecht, dass ihr mich richtig versteht. Es war halt einfach nicht phänomenal. Man bemängelte als Nicht-Gothiker den krassen Kontrast zu Rockröhren wie den BACKYARD BABIES oder ASH, die nun den Sonntag einläuteten.
Sonntag
DIE HAPPY komplettierte das Brachialtrio, während langsam der Hip-Hop das Zepter in die Hand nahm. 5 STERNE DELUXE aus Hamburg begannen den Rap-Contest gegen ihre Konkurrenz von der Mainstage, auf der neben dem kölschen Reggae-Jecken GENTLEMAN mit seiner FAR-EAST-BAND noch die BEGINNER auftraten, die zu unglaublichen, zehnminutenlangen Rap-Battles antraten und beim Publikum für Tennisarme sorgten. Als dann auch noch die Creme de la creme des HipHop in einer riesigen Rauchwolke die Bühne enterte, blieb dem Publikum vollends die Spucke weg. kein geringerer als CYPRESS HILL bliesen ins Horn und ließen dem Bass freien Lauf.
Die 2nd Stage konterte mit altbewährtem deutschen Indie-Pop a la den BEATSTEAKS und den SPORTFREUNDEN von Herrn STILLER. Die letzteren haben nicht nur eine großartige musikalische Leistung dargeboten, sondern nach Meinung vieler auch die unterhaltsamste Show auf die Beine gestellt. Neben vielen ironischen und makaberen Ansagen und den aktuellen Spielständen der EM sorgten die Sportfreunde mit lustigen Rededuellen mit den zeitgleich auf der Mainstage auftretenden FANTA VIER für besten Unterhaltungswert.
Die erwähnten Rededuelle lassen aber auch einen großen Kritikpunkt des diesjährigen Hurricane-Festivals erahnen. Im Gegensatz zum Vorjahr wurde aus technischen Gründen auf das Konzertzelt verzichtet und stattdessen eine zweite Stage errichtet, die logischerweise ans andere Ende des Festivalgeländes positioniert wurde. Leider reichte diese räumliche Distanz nicht aus und führte zu einem großen Teilbereich des Geländes, in dem die Darbietungen der beiden Bühnen sich gegenseitig neutralisierten und so verschluckt wurden.
Dieses “Bermuda-Dreieck” kombinierte ungewollt die einzelnen Musiksegmente der jeweils Auftretenden zu einem einzigen Wirrwarr.
Schade, laßt euch da bitte etwas einfallen, Scorpio!
Aber vielleicht ist das ja auch nicht mehr nötig, denn eigentlich hätte das Hurricane-Festival schon in diesem Jahr auf das Gelände des Flugplatzes Rotenburg bei Wümme umziehen sollen. Es kamen jedoch die im Anschluss an das Wochenende anstehenden niedersächsischen Segelflugmeisterschaften dazwischen.
Wir warten ma ab und freuen uns auf das nächste Jahr, egal wo und mit wem. Sind ja nur noch 362 Tage bis dahin.
Noch eine schöne Festival-Saison wünscht Norbert Kurck
65 Bilder
Teil 2